Genre: Amateurfilme
Empfehlung: Ja, spannend
Inhalt: Mit „Lübeck in alten Amateurfilmen 1929–1963“ haben wir uns gestern auf etwas eingelassen, dass ich oft vermeide: Amateurfilm. Oft kann ich Amateurfilmen eben nur kurz zu schauen, weil sie ja auch mehr als Erinnerung gemacht sind. Wir sind im ersten Teil „Lübeck von 1926-1963“ und haben das Glück, dass ein echter Film-Nerd (C. Cay Wesnigk) sich der Amateurfilme angenommen hat.
Wir sehen Amateurfilme von Bernhard Dräger, Unternehmer, dem der Ruf vorausgeht, exzellente technische Geräte herzustellen, von Paul und Josephine Gunkel, die eine Margarine-Fabrikation besassen, Herrmann Hennings, ein Amateur - Chronist Lübecks und der Bürsten-Fabrikant Harald Olie.
Was ich an den Amateurfilmen in dieser Vorführung so spannend finde, sind die Kommentierungen von Cay Wesnigk.
In den 1920er Jahren hebt er den Alltag der Menschen hervor, die in den Filmen gezeigt werden. Prinz Heinrich besucht Bernhard Dräger auf dem Segelboot. Und oft werden die Ehefrauen beim Fahren des neues Automobils gezeigt. Trotzdem ist in den frühen Filmen erstaunlich, wie viele Pferdewagen und viele von Menschen gezogene Gefährte es noch gibt. Ein Stadtjubiläum wird mit einem unglaublich aufwändigen und sehr modern wirkendem Umzug wird gefilmt. Badeurlaub. Das Leben in den 20ern wirkt sehr lebendig.
Dann kommen die Filme der Nazizeit. Harald Olie filmt vor allem seine neue Bürstenfabrik. Er hat sie 1938, für einen Bruchteil des echten Werts erbeutet. Albert Asch, der Vorbesitzer jüdischen Glaubens, flüchtete wenige Tage zuvor im Gefängnis in den Freitod. Olie wiederum filmt die Mobilmachung, die militärischen Übungen und er filmt später - verbotener Weise - das zerstörte Lübeck. Nach dem Krieg kommen Aschs Ehefrau und Kinder nach Lübeck zurück. Einer der Söhne wird als Prokurist in der ehemaligen Firma des Vaters angestellt. Mir macht das mehr als ein mulmiges Gefühl (Das Buch Hirschfeld, Asch und Blumenthal...: Jüdische Firmen und jüdisches Wirtschaftsleben in Lübeck 1920-1938. Blüte, Enteignung, "Wiedergutmachung" gibt vielleicht Aufschluss) Wesnigk deutet es als gutes Zeichen, er fand Olie „eigentlich“ immer ganz nett fand, natürlich ist er sich auch der Umstände bewusst unter denen Olie an die Fabrik von Asch kam. Aber nicht nur Olie, auch Hennings filmt die brennende Altstadt Lübecks im März 1942. Als Hennings den Einsturz der Marienkirche filmt, stöhnen viele ältere Lübecker*innen im Saal auf.
Es gibt Aufnahmen von Josephine Gunkel, die von ihren Tagebucheinträgen begleitet werden: „Dahin ist es mit der Meinungsfreiheit. …. und wieder wird der Hass gesät, eine Schande, die Jugend von frühen Jahren an mit diesem Hass zu füllen“. 1938 sieht man Josephine Gunkel bei einer Schneeballschlacht mit ihrer Tochter. Durch das Tagebuch wird klar, erst einen Tag davor, ist sie aus dem Gefängnis der Gestapo aus einer 4-wöchigen Haft entlassen worden. Ein Brief von ihr wurde abgefangen. Sie stand in Korrespondenz zu mehreren jüdischen Studenten. Einem riet sie in London zu bleiben, da die Situation in Deutschland immer schwieriger für jüdische Menschen wurde. Sehr berührend die Aufnahmen.
Hennings Aufnahmen hingegen zeigen unter anderem eine wirklich feuchtfröhliche Silvesterfeier 1945/46, die Freude, dass man überlebt hat, ist spürbar. Unglaublich wo Hennings den vielen Rotwein und die Leckereien her hat. Cay Wesnigks Familie, aus dem Osten geflüchtet, litt zur selben Zeit bitteren Hunger.
Das Ende der Amateurfilme bildet dann eine Stadtjubiläum 1963 mit einem ähnlichen Umzug wie 1926. Nur wirkt der Umzug diesmal recht träge, die Modernität von 1926 fehlt ihm. Nur die Gruppe der Darsteller der Karl-May-Festspiele ist toll: Winnetou und seine Anänger verweigern sich den Pferden und fahren auf Vespa-Rollern im Umzug mit.
Szene, die mir in Erinnerung geblieben ist: Josephine Gunkel spielt mit ihrer Tochter im Schnee, einen Tag nach einer 4-wöchigen Haft in einem Gestapo-Gefängnis.
https://nordische-filmtage.de/de/festival/movie/view/1216
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen